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Die künstliche Intelligenz wird künftig der stärkste Changetreiber in unserer Gesellschaft sein. Davon ist der Digitalisierungs- und Innovationsexperte sowie Autor des Buchs „Die KI-Roadmap:…“ Dr. Jens-Uwe Meyer überzeugt. Das haben viele Mittelständler noch nicht erkannt.

Herr Meyer, ist das Thema KI ein durch ChatGPT ausgelösten Modethema oder verbirgt sich dahinter ein Veränderungsprozess, dem die Unternehmen sich nicht verschließen können?

Jens-Uwe Meyer: ChatGPT zeigte vielen Personen und Organisationen sehr plakativ, was heute technologisch im KI-Bereich bereits möglich ist. Das allgemeine Zugänglich-machen des Chatbots sorgte bei ihnen für einen „Wow-Effekt“ in Sachen künstliche Intelligenz. Das heißt aber nicht, dass allen ChatGPT & Co-User bereits bewusst ist, welch verändernde Kraft für unsere Wirtschaft und Gesellschaft noch in der KI steckt.

Können Sie das erläutern?

Meyer: Nun, aktuell werden KI-Lösungen noch primär im Dienstleistungsbereich genutzt; außerdem in den Unternehmensbereichen, in denen es eine Vielzahl von Daten zu erfassen und verarbeiten gilt.

Wie zum Beispiel dem Marketing- und Controllingbereich.

Meyer: Ja. Doch auch in der Produktion haben KI-Systeme vereinzelt schon menschliche Tätigkeiten übernommen, weil sie schlicht effektiver sind. So zum Beispiel bei der Qualitätskontrolle. Doch dies ist erst der Anfang der Entwicklung.

KI-R-A wird ein sehr starker Changetreiber sein

Warum?

Meyer: Weil sich aus der Verbindung der künstlichen Intelligenz mit der Robotik und Automatisierung, kurz KI-R-A genannt, für die Unternehmen ganz neue Möglichkeiten ergeben.

Inwiefern?

Meyer: Nun, bisher ging es bei der Digitalisierung und Automatisierung primär darum, einzelne Tätigkeiten und Teilprozesse zu effektivieren; mit KI-R-A können die Unternehmen jedoch ganze Geschäftsprozesse neu gestalten und zum Teil sogar ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln. Heute ist es keine Utopie mehr, dass in naher Zukunft KI-Lösungen in den Unternehmen nicht nur deren neue Produkte entwickeln, sondern auch deren Produktion steuern und die Auslieferung an die Kunden managen; außerdem den Einsatz dieser Problemlösungen beim Kunden monitoren und effektivieren.

Das heißt, der Automatisierungsprozess wird sich aufgrund des verstärkten Einsatzes selbstlernender KI-Systeme rasant beschleunigen.

Meyer: Beschleunigen und immer mehr Unternehmens- bzw. Tätigkeitsbereiche umfassen.

Mit welchen Konsequenzen?

Meyer: Unter anderem einer radikalen Steigerung der Effizienz. Aufgaben, die bislang Wochen oder Monate in Anspruch nahmen oder aus Effizienzgründen gar nicht wahrgenommen wurden, werden mit Hilfe der KI-Lösungen binnen Minuten erledigt sein – und zwar ohne menschliche Unterstützung. Das macht vielen Menschen Angst, denn sie befürchten: Dann entfällt mein Arbeitsplatz. Das wird teilweise der Fall sein. Doch nicht nur aus unternehmerischer, sondern auch gesellschaftlicher Sicht ist die Automatisierung schlicht notwendig.

Warum?

Meyer: Weil aufgrund des demografischen Wandels viele Aufgaben schlicht automatisiert werden müssen, damit sie überhaupt noch in einer hohen Qualität erbracht werden können.

Und bezahlbar bleiben?

Meyer: Das auch.

Die Kompetenz in Sachen KI gezielt ausbauen

Ist den Unternehmensführern bereits bewusst, vor welchen tiefgreifenden Veränderungen ihre Unternehmen angesichts des verstärkten KI-Einsatzes bzw. von KI-R-A stehen?

Meyer: Ich schätze, etwa zehn Prozent von ihnen ja. Die meisten haben das Ausmaß der Veränderung aber noch nicht erkannt. Und etwa die Hälfte von ihnen glaubt sogar noch: Das Thema künstliche Intelligenz ist für uns überhaupt nicht relevant.

Und wie schaut es mit der Kompetenz aus, die erforderlichen Veränderungsprozesse in ihrer Organisation zu planen und zu steuern?

Meyer: Die zehn Prozent, von denen ich gerade sprach, wissen, dass der Übergang in eine KI-dominierte Wirtschaft unumgänglich ist und hierfür teils neue Kompetenzen erforderlich sind. Sie investieren also auch Zeit und Geld in entsprechende Weiterbildungen und das Entwickeln von KI-Strategien. Gravierende Defizite bestehen aber bei den Unternehmen, die dem Thema KI eher abwartend-reserviert gegenüberstehen. Sie laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Was sollten speziell die Entscheider im Mittelstand tun, um selbst fit für den Wandel zu werden?

Meyer: Sie sollten, falls noch nicht geschehen, einfach mal solche Programme wie ChatGPT oder Google Bard ausprobieren und mit ihnen Experimente durchführen. Meine Empfehlung lautet: „Lassen Sie sich von ihnen beispielsweise mal eine Arbeitsanweisung schreiben oder anhand hochgeladener Daten einen Businessplan erstellen.“ Wenn Entscheider das tun, sind sie in der Regel von den Ergebnissen positiv überrascht. Das bewirkt oft ein Umdenken. Das heißt, sie beginnen darüber nachzudenken, inwieweit ließe sich durch den KI-Einsatz eventuell die Arbeit in gewissen Bereichen unseres Betriebs effektivieren oder gar revolutionieren.

Eine KI-Vision und -Roadmap entwickeln

Was sollten die Entscheider tun, um die nötigen Veränderungsprozesse in ihrer Organisation in Gang zu setzen?

Meyer: Wichtig ist das Entwickeln einer KI-Roadmap. Im ersten Schritt gilt es dabei, die möglichen Potenziale für eine Automatisierung mit Hilfe der KI zu identifizieren. Hierfür hat mein Unternehmen ein Analyse-Tool entwickelt, von dem es auch eine kostenlose Testversion gibt. Im nächsten Schritt geht es dann darum, die Potenziale zu konkreten Anwendungsfällen weiterzuentwickeln, Ziele zu definieren und Teams aufzubauen. Ein strukturiertes, zielorientiertes Vorgehen hierbei ist gerade bei Mittelständlern wichtig, weil ihre Ressourcen meist viel begrenzter als die von Konzernen sind.

Wie wichtig ist es dabei, eine Vision zu haben, wohin das Unternehmen sich entwickeln und welche Ziele es erreichen möchte?

Meyer: Extrem wichtig; auch um möglichst wenig Zeit zu verschwenden. Denn während zurzeit die einen Unternehmen noch überlegen, ob sie sich mit dem Thema KI überhaupt befassen sollen, nutzen andere diese bereits, um ihre Prozesse zu automatisieren.

Wie kann diese Vision entwickelt werden?

Meyer: Zunächst einmal sollte man das Thema KI nicht zu einer „Raketenwissenschaft“ hochstilisieren. Man sollte sich ihm vielmehr mit einem ähnlich nüchternen Blick wie der Investition in Maschinen nähern. Am Anfang steht also ein Business Case; das heißt die Überlegung, welchen Nutzen könnte unser Unternehmen aus einem KI-Einsatz ziehen: Wo werden Prozesse effizienter? Wo erhöht sich die Qualität? Wo bauen wir strategische Wettbewerbsvorteile auf? Die Antworten auf solche Fragen bilden die Basis für die Entwicklung einer Vision. In Beratungen empfehle ich Unternehmern und Führungskräften oft: „Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Unternehmen würde vollautomatisiert funktionieren. Was müsste geschehen, welche Entscheidungen müssten getroffen werden, damit von A bis Z – beispielsweise vom Auftragseingang bis zur Zustellung – alles vollautomatisch abläuft?“ Das Ergebnis dieses Gedankenspiels ist meist unrealistisch, weil so viel Automatisierung aktuell weder technologisch möglich ist, noch beschäftigten- und kundenfreundlich wäre. Es entsteht jedoch eine Vorstellung davon, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln wird. Von dieser Vision ausgehend können dann kleinere Projekte und Entwicklungsziele definiert werden.

Mit Pilot-Projekten starten und diese evaluieren

Was ist der größte Stolperstein beim Realisieren der Version und Erreichen der damit verbundenen Ziele?

Meyer: Die Unternehmenskultur. Aktiv werden bzw. sich auf den Weg begeben, bedeutet gerade bei mittelständischen Unternehmen in der Regel nicht, zunächst einige KI-Experten einzustellen oder gar eine KI-Abteilung aufzubauen. Mitunter genügen ein, zwei Schulungen und einige Prozessänderungen und schon können erste KI-Anwendungen im Betriebsalltag eingesetzt werden. Es können also erste Piloten – auch zum Kompetenzaufbau – gestartet werden.

Wird es in dem durch die KI bzw. KI-R-A ausgelösten Veränderungsprozess auch Verlierer geben?

Meyer: Na klar; ebenso wie dies auch bei der bisherigen Digitalisierung und Automatisierung der Fall war. Der Unterschied ist jedoch: Wer zu den Gewinnern und Verlierern zählt, wird schneller sichtbar sein und die Konsequenzen von Versäumnissen werden nachhaltiger sein.

Warum?

Meyer: Die Unternehmen, die in der Vergangenheit nicht zu den „early birds“ im Digitalisierungsbereich zählten, also eher Nachzügler waren, konnten Versäumnisse meist noch kompensieren. Das hat sich verändert. Denn schauen Sie nur mal, wie viel sich, seit die ersten Pressemeldungen über ChatGPT im Dezember 2022 erschienen, beim KI-Einsatz bereits geändert hat. Das zeigt: Das Tempo der Veränderung bzw. Transformation ist rasant gestiegen. Deshalb lassen sich Versäumnisse auch immer schwieriger kompensieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Meyer!

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